Wir schreiben das Jahr 2021 und der Mensch hat sich fast aller natürlichen Feinde entledigt. Fast aller? Ein kleines gall… entschuldigt. Eine kleine Gruppe Feinde widersetzt sich allen Versuchen des Menschen, auch sie zu besiegen. Ihre Namen: Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten.
Ein Mitglied dieser Gruppe hat Ende 2019 zu tief in den Zaubertrank geschaut und wir leben seitdem in der ersten großen (und, hoffentlich auch letzten) Pandemie des 21. Jahrhunderts.
Kaum ein Problem, sollte man meinen. Immerhin wissen wir, seit sich die Keimtheorie etablieren konnte, ziemlich gut welche Keime für welche Krankheiten verantwortlich sind und wir haben nicht wenig dafür getan, auch sie aus unseren Leben zu verbannen — oder zumindest zurückzuzutreifen. Wissen und Kenntnisse, die, so glaubt man, nun auch für die neue Bedrohung angewendet werden würden.
Doch schnell wurden Stimmen laut, was das denn solle. Warum man das denn tun würde. Man würde ja auch keinen Aufriss wegen jedes kleinen Schnupfens oder der jährlichen Grippe machen und auch durch die, würden ja Leute sterben.
Und überhaupt, früher hätte man auch nicht solch einen Aufriss wegen einer Infektionskrankheit gemacht …
Worte wie diese kamen recht häufig aus dem Mund von Menschen, die sich nach einem Urlaub gerne und häufig über die „unhygienischen Zustände vor Ort“ ereifern.
Es scheint, im Jahr 2021 und in einer westlichen Industriegesellschaft, wurde Hygiene zum Selbstzweck. Sie ist einfach da, in Form der Müllabfuhr, in Form von fließend Warmwasser in allen Wohnungen, in Form von Kanalisation, Abwasseraufbereitung, der Stadtreinigung, in Form von Ratten und Moskitobekämpfung. Sie wird als selbstverständlich empfunden, nicht hinterfragt und vor allem auch als etwas betrachtet, an dem man selbst — abgesehen von Körperhygiene und der Reinigung der eigenen vier Wände — nicht teilnimmt. Sondern, die für einen erledigt wird. Meist unsichtbar. Versteckt. Unauffällig. Wie der Raum im Schwimmbad, in dem das Wasser gechlort wird — oft eingeführt um die Ausbreitung von Polio zu verhindern — der sich in der hintersten Ecke des Kellers verbirgt.
Vergessen wurde, wie viel dieser Maßnahmen eingeführt wurden, um spezifische Krankheiten zu bekämpfen. Wie viel davon eben nicht „selbstverständlich“ war, sondern erkämpft werden musste. Und dass, für die Bekämpfung von Krankheiten, die seit Jahrtausenden immer wieder Menschenleben kosteten, stark verkürzten oder sehr unangenehm werden ließen, auch Maßnahmen in Kauf genommen wurden, die nicht nur positive Effekte hatten.
Der Kampf gegen Pathogene ist ein Kampf, der in nicht seltenen Fällen in der Vergangenheit nur Verlierer kannte. Und man harte Entscheidungen treffen musste, dieses Verlieren in Kauf zu nehmen, um auf lange Sicht zu gewinnen.
Eine Lektion, die wir im 21. Jahrhundert weitgehend vergessen zu haben scheinen. Denn, dass Maßnahmen auch (teils große) Nachteile haben, wurde von vielen Menschen nicht mehr akzeptiert. Die Maßnahmen hätten nur positive Folgen haben dürfen, sonst sei es doch viel besser, ‚der Natur ihren Lauf‘ zu lassen.
Was ich mit diesem Blog versuchen möchte, ist in Erinnerung zu rufen, wie das Leben mit Infektionskrankheiten, die wir nicht bekämpfen und oft nicht mal zielgerichtet behandeln konnten, wirklich war.
Das eben nicht unser „Immunsystem“ alleine uns bis ins 21. Jahrhundert gebracht hat, sondern eine hohe Geburtenrate, aber eben auch immer wieder der Versuch, Epidemien zu kontrollieren und beherrschen. Dass der Glaube daran, dass die Natur uns nichts Böses wollen könnte, aus Naivität geboren ist, aus Ignoranz und Bildungslücken.
Ich studiere Geschichte, weil mir die Zukunft wichtig ist.
Ich bin kein Freund davon, uns über die Menschen der Vergangenheit zu stellen. Uns als weniger ignorant, weniger barbarisch zu betrachten oder gar als ‚höher entwickelt‘. Auch die Menschen des 21. Jahrhunderts unterscheiden sich nicht signifikant von den Menschen der Jahrhunderte davor. Entwicklungen, die wir klar als Fehler erkannt haben, können sich jederzeit wiederholen, wenn wir glauben, dass etwas unsere Lebensweise in Gefahr bringt. Siehe auch: und .
Wer mir gegenüber Sätze äußert, die ‚mittelalterlich‘ im Kontext von ‚rückständig‘ gebrauchen, der vom ‚dunklen Zeitalter‘ spricht, wird im besten Fall Augenrollen ernten und im schlechtesten Fall einen unerbetenen Vortrag.
Ebenso bin ich keine Freundin davon, die Vergangenheit zu verklären und sie zu einer Zeit zu stilisieren, in der man noch ein einfacheres, besseres Leben lebte — in jedem Fall mehr im Einklang mit der Natur.
Eine solche Zeit gab es nicht. Sie ist eine mythische, eine mystisch verklärte Vision einer Vergangenheit, die es so nie gab.
Wer hier nach einem dieser Extreme sucht, wer Argumente sucht, um seine Haltung zu untermauern und zu festigen, wird enttäuscht werden.
Ich interessiere mich für Geschichte, weil ich sie als den Schlüssel sehe, eine bessere Zukunft zu schaffen.
Und das bedeutet, die Vergangenheit weder zu verklären und mit Zuckerguss zu überziehen, noch uns als über ihr stehend zu betrachten.